Der Direkte Verkehr - ein Pfeiler des ÖV-Vorzeigemodells Schweiz

Im öffentlichen Verkehr in der Schweiz gilt der Grundsatz, dass man für eine Reise nur ein Billett oder Abonnement braucht - auch wenn sie mit verschiedenen Unternehmen, beispielsweise SBB, RhB und Postauto, stattfindet. Dieser sogenannte Direkte Verkehr (DV) erleichtert das Reisen und ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für das ÖV-Vorzeigemodell Schweiz. Weil die Kundinnen und Kunden immer öfter und weiter fahren, muss der DV weiter gestärkt werden.

Umsteigen in Chur von der Bahn auf die Postautos                                                                                          Foto: Marcel Manhart

 

 

Der Direkte Verkehr (DV) ist im Artikel 16 des Personenbeförderungsgesetzes (PBG) verankert: „Im Fern-, Regional- und Ortsverkehr bieten die Unternehmen in der Regel der Kundschaft für Verbindungen, die über das Netz verschiedener Unternehmen führen, einen einzigen Transportvertrag an.“ Hierfür erstellen die Unternehmen gemeinsame Tarife und Fahrausweise. Artikel 17 PBG regelt die Zusammenarbeit der Unternehmen und die Rolle des Bundesamtes für Verkehr (BAV). Das BAV hat unter anderem die Übereinkommen der Unternehmen zum DV zu genehmigen. Gemäss Gesetz dürfen die Übereinkommen über den DV "besondere Interessen einzelner Unternehmen nur so weit berücksichtigen, als die Gesamtinteressen des öffentlichen Verkehrs nicht beeinträchtigt werden".

 

Das Prinzip des DV gilt in der Schweiz – mit wenigen Ausnahmen – flächendeckend. Konkrete Produkte sind neben den einheitlichen Billetts für Reisen über die Linien mehrerer Unternehmen das Halbtax-Abo und das Generalabonnement (GA). Der DV ist eine der herausragenden Errungenschaften des schweizerischen ÖV. Weil die ÖV-Kundinnen und -Kunden immer öfter und weiter fahren und die Tarif- und Distributionswelt immer komplizierter wird, muss das Prinzip des DV konsequent durchgesetzt werden. Während die Kundinnen und Kunden früher nur wenige Tarifbestimmungen kennen mussten, sind sie heute oftmals mit unterschiedlichen Bestimmungen konfrontiert. In den letzten Jahren haben die regionalen Verkehrsverbünde stark an Bedeutung gewonnen. Sie bieten dank dem Zonentarif eine einfache Mobilität in ihrem Verbundgebiet. Sie erschweren jedoch durch die Vielzahl an regionalen Bestimmungen die schweizweite Mobilität. Komplizierte, nicht harmonisierte Tarife können Kundinnen und Kunden überfordern. Daran können auch die mobilen Apps wie fairtiq und lezzgo nicht viel ändern. Die Kundschaft will den Fahrpreis, den ihr solche Apps berechnen, auf eine einfache Art und Weise nachvollziehen können.

 

 

Einheitliche Vorgaben für DV und Verbünde

 

Um den Kundinnen und Kunden sowohl eine schweizweit harmonisierte, nachvollziehbare und einfache Sortimentspalette wie auch entsprechende nationale Vertriebskanäle anbieten zu können, ist der gesetzliche Grundsatz des direkten Verkehrs über die Autonomie der Verbünde zu stellen. Die nationale Optik muss sowohl beim DV als auch bei den Tarif- und Verkehrsverbünden angewendet und durchgesetzt werden. Dies hat die öV-Branche erkannt und 2015 die Projekte "Governance 2020" und "Tariflandschaft 2025" initiiert. Mit diesen Projekten sollen ein gemeinsames Entscheidgremium sowie gemeinsame Standards bei Tarifen, Sortiment, Vertrieb und Kontrolle festgelegt werden. Vor allem durch eine wesentliche Vereinfachung der Sortimente, Gültigkeitsbestimmungen und Tarifbildung soll für die öV-Kundinnen und –Kunden der Schlüssel zu einem hürdenfreien ÖV-Zugang und zu einem attraktiven und nachhaltig finanzierbaren Vertrieb geschaffen werden. Allerdings ist die Zusammenarbeit zwischen den Gremien des DV sowie den Tarif- und Verkehrsverbünden zurzeit nicht einfach. Es fehlt an einer durchsetzungsfähigen Organisation. Regionale Interessen gefährden das einfache, unkomplizierte Reisen; die Erreichung der Ziele, die sich die ÖV-Branche gesteckt hat, ist ungewiss.

 

Für den Vertrieb und den Verkauf von Fahrausweisen löst die öV-Branche die bisherigen Systeme (v.a. Prisma) schrittweise durch die neue Plattform NOVA ab. Auf der NOVA-Plattform kann das ganze Sortiment des DV sowie der Verbünde abgebildet werden. Es ist wichtig, dass alle Transportunternehmen und Verbünde das gesamte auf der NOVA-Plattform verfügbare Fahrausweissortiment verkaufen dürfen. Zurzeit gibt es auch hier Widerstände; einzelne Verbünde wollen den Zugriff auf ihr Sortiment für andere Transportunternehmen einschränken. Damit werden Reisen zwischen zwei Verbundgebieten erschwert und es entstehen Kundenfallen.

 

Harmonisierung vorantreiben

 

Das BAV verlangt von der Branche, dass Fortschritte bei der Harmonisierung erzielt werden. Gültigkeitsbestimmungen und Sortimente sind schweizweit einheitlich festzulegen. Es ist die gesetzliche Pflicht des BAV, den DV im Inland durchzusetzen. Dies gilt auch bei der Beurteilung der hängigen Gesuche für nationale Fernbuslinien.

 

Der Bund schlägt im Rahmen der Botschaft zur Organisation der Bahninfrastruktur (OBI) die Schaffung von Systemführerschaften im Personenverkehr vor. Mit dieser könnte eine geeignete, entscheidfähige Organisation aus der öV-Branche mit der Entwicklung von bereichsübergreifenden Lösungen beauftragt werden, falls sich die öV-Branche nicht auf gemeinsame Gremien und einheitliche Lösungen einigen kann. Die Tarifhoheit bliebe unverändert bei den Transportunternehmen. Im Bereich der Bahninfrastruktur haben sich in den letzten Jahren Systemführerschaften bewährt. Die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit in Bereichen wie Bahnstrom oder Zugsicherungssystemen führt zu effizienten Lösungen und reduziert den Subventionsbedarf.

 

Das BAV erachtet eine Systemführerschaft, wie sie in OBI dem Parlament unterbreitet wird, auch für verschiedene Problemstellungen in der Personenbeförderung als zielführendes Instrument, um die laufenden Prozesse zu beschleunigen, die Effizienz des öV-Systems zu erhöhen, den Kundennutzen zu verbessern, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen sowie die Tarif- und Distributionssysteme nachhaltig finanzieren zu können. Die Systemführerschaft ist ein Instrument, welches dazu beitragen kann, dass die einfache, schweizweite Mobilität auch in Zukunft als einer der Erfolgsfaktoren des öffentlichen Verkehrs der Schweiz über die Landesgrenzen hinaus strahlt.

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